Zentralafrikanische Republik


4° 21′ N, 18° 36′ O



Im September 2009 habe ich einen „Augenstein“ in meiner Proviantkiste von Deutschland in die Zentralafrikanische Republik mitgenommen.

Gesteine, die von einem Ort zum anderen „reisen“, nennt der Geologe „Erratika“, was bedeutet, dass sie nicht im Zusammenhang mit den lokalen geologischen Verhältnissen am Fundort stehen. Die eiszeitlichen Gletscher haben solche „Erratika“ oder auch „Findlinge“ aus Skandinavien nach Mitteleuropa transportiert. Sie gaben den Forschern lange Zeit Rätsel auf, da man sich nicht erklären konnte, wie sie dorthin gekommen waren.

Mein Stein – ursprünglich aus Frankreich stammend – reiste ganz modern mit dem Flugzeug nach Afrika. Ich will nicht hoffen, dass sein mögliches späteres Auffinden am „falschen Ort“ einem zukünftigen Geologenkollegen Kopfzerbrechen bereiten wird… und er womöglich aus dem Augenstein falsche Schlussfolgerungen zieht.

Der kleine Kalkaugenstein hat sich zuerst einige Tage in meinem Büro in Bangui umgeschaut und akklimatisiert, bis ich ihn an einem schwül warmen Tag bei etwa 32° C auf dem Dach einer Kneipe (Les Sirenes) am Ufer des Oubangui Flusses etwa bei 4° 21‘ N / 18° 36‘ E ca. 340 m ü.M. abgelegt habe.

Von der Kneipe überblick man den Oubangui in Richtung Demokratische Republik Kongo, dem früheren Zaire. Das ehemalige SOFITEL Bangui – rechts im Bild – ist eine skurrile Landmarke. Bis Bangui ist der Fluss, wenn man von Kinshasa/Brazzaville flussaufwärts kommt, schiffbar. Oberhalb versperren felsige Katarakte die Weiterfahrt ins Innere Afrika. Ende des 19. Jahrhunderts war diese Lage strategisch günstig und der Franzose Michel Dolisie gründete 1889 Bangui als Verwaltungs- und Militärposten von Französisch Zentralafrika (Oubangui-Chari).

Unter Bokassa I wurde das zentralafrikanische Kaiserreich proklamiert und Bangui entwickelte sich in den 1970er Jahren zu einer kleinen Metropole am Ufer des großen Stroms („Bangui la Coquette“). Seitdem ging es mit dem Land mehr oder weniger kontinuierlich bergab. Die ungünstige Binnenlage im Herzen Afrikas, Misswirtschaft, Korruption, Staatsstreiche und Militärrevolten haben das Land zu einem der ärmsten der Erde werden lassen.

Am Ufer des Oubangui scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Pirogen der Fischer im Vordergrund - noch wie vor hundert Jahren – zeugen von einer seltsamen Persistenz. Es gibt einen AIR FRANCE Flug pro Woche nach Paris; der Airbus wirkt wie eine Zeitmaschine zwischen afrikanischem Mittelalter und europäischer Moderne. Einzige Entwicklung der letzten 10 Jahre: Mobiltelefone. Das Land von der Größe Frankreichs mit Belgien zusammen, mit knapp vier Millionen Einwohnern, hat vier Telefongesellschaften und mancher Zentralafrikaner hat auch bereits 4 Handys.




Jürgen Runge, Bangui
2009