Rußland Solowezki-Kloster Verschwunden im Weißen Meer zwischen Archangelsk und den Solowezki-Inseln Der Norden Russlands bietet gerade im Juli wegen der weißen Nächte eine großartige Alternative selbst nur für ein verlängertes Wochenende der Hektik Moskaus zu entfliehen, Diesmal führte mich meine Tour nach Archangelsk, die „Erzengelstadt“, und auf die sechs Solowezki Inseln im weißen Meer und wie immer hatte ich einen Augenstein im Rucksack. Ein „Auge“ mehr im Gepäck sieht auch mehr. Das Gebiet war in der Vergangenheit zum einen strategisch wichtig, da die eroberungswilligen Skandinavier versucht haben in das Landesinnere vorzudringen. Zweitens hat Peter der Grosse, noch vor der Gründung der Stadt Sankt Petersburg, Ende des 17. Jh. die Grundlage für die russische Kriegsmarine und Handelsflotte in Archangelsk gelegt. Als die geschäftstüchtigen Engländer Mitte des 16. Jhs auf der Suche nach einer Handelsroute nach China und Indien über die Nordostpassage fuhren, erreichten sie das Weiße Meer und fuhren durch eine der Mündungen der Dwina noch mehr als 100 km weiter flussabwärts. Die Engländer fanden zwar nicht den Weg bis nach China, aber diese erste Handelsmission der Engländer war der Anfang des zollfreien Handels zwischen Russland und England. Zwei weitere Gründe machten diese Region interessant. Zum einen bot sie den nach absoluter Abgeschiedenheit strebenden Eremiten Platz, die im 12. Jh. das Erzengel-Michael-Kloster bauten, was später im Jahre 1583 zur Gründung der Stadt Archangelsk an dieser Stelle führte. Ebenso gründeten die Eremiten auch das Solowezki Kloster im 15 Jh. Zweitens ist das Gebiet (Oblast) Archangelsk flächenmäßig so groß wie die Ukraine, es leben dort jedoch nur 1,3 Mio. Menschen. Daher eignete es sich bereits schon früh als Zufluchtsort für Menschen, die der Leibeigenschaft entfliehen wollten. Sie konnten sich in dieser Gegend in kleinen Lebens/Dorfgemeinschaften mit Gleichgesinnten niederlassen und so dem Zugriff durch den Adel entziehen. Da das Land abwechselnd übersät ist von Wald und Wasser (Archipulag) war und ist es für die Landwirtschaft nicht geeignet und somit für den Adel von keinem Interesse. Sehenswert ist hier das größte Freilichtmuseum Russlands, Malyje Koreley, wo man die Holzarchitektur von über ca. 400 Jahre besichtigen kann. Zu all diesen Stätten ist der Stein mitgereist. Die Solowezki-Inseln beherbergen ca. 2000 Jahre Geschichte. Mehr als 40 prähistorische Steinlabyrinthe, die auf allen Inseln verteilt sind und ähnlich denen, die sich auch in den skandinavischen, isländischen und schottischen Ländern befinden, bezeugen diese alte Kultur, deren Bedeutung erst seit 1979 erforscht wird. Die Klosteranlage auf der Hauptinsel, die im 13. Jahrhundert von Mönchen errichtet wurde, steht seit 1992 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. Der Mönch Sawwati und der Einsiedler German waren die ersten Gründerväter. Nach dem Tode Sawwatis holte German Sosimo als Nachfolger und gemeinsam begannen sie zu bauen, ein Kloster und Kirchen. Die Klosterfestung war gleichzeitig auch die erste Gefängnisanlage Russlands, als orthodoxes Alcatraz von Zar und Patriarch mit Häftlingen beschickt. Wer dahin kam, hat die Insel nicht mehr lebendig verlassen. Der Stein liegt vor einer Kerkertür innerhalb der Klosteranlage. Was die erste historische Gefängnisanlage war, war später auch das erste Arbeitslager in der Geschichte, das unter den Sowjets gegründet wurde. Dieses Arbeitslager und diese Insel dienten dem Autor Alexander Solschenizyn als Vorbild und Grundlage für sein Werk Archipel Gulag, erschienen 1974.
Zafer Toker, Frankfurt/Main |