Indien


Agra






Indien, das Land der Kontraste oder der lange Weg über 3 Kontinente

Wir verehren Mahatma Gandi, fluechten aus unserem Alltag, indem wir uns mit Yoga ins Nirvana meditieren, wir swingen und entspannen uns mit den Beats von „Budda Bar“ aus einem Mix von electronic music und indisch traditionellen Tönen, wir sehen allerlei Bollywood-Filme mit endlosen Herzschmerzgesangs- und Tanzszenen, wir testen die Belastbarkeit unserer Zungen mit der Vielfalt des cross-over der indischen Kueche und ihrer exotischen Gewürze und fragen uns dennoch, wenn wir einem Sikh mit obligatorischem Turban, Bart und Armreif begegnen, was wohl diese Symbolik fuer uns bedeuten mag.

Verstehen wir dieses Land im Zeitalter der Globalisierung, wenn auch „die Welt immer flacher wird“?

Heute ist Indien im Zentrum des Fokus. Mit 1,1 Mrd Menschen,  einer Analphabetenrate von 36%, ist Indien ein Vielvölkergemisch mit unzaehligen Sprachen/Dialekten und Religionen und einem Durchschnittsalter von 24 Jahren,  ein Billig- und Outsourcingland fuer viele Industrien und Dienstleistungssektoren gewinnhungriger Westlaender und Firmen. Was in den 60ziger Jahren fuer die  sinnsuchenden Hippies und Aussteiger ein alternativer Ort der Glueckseligkeit, Selbstfindung- und Selbsterfahrung war, ist heute eine Quelle des Profits.

Nach 60 Jahren der friedvollen Befreiung von der englischen Kolonie ist die groesste „Demokratie der Erde“ immer noch ein Ueberbleibsel der britischen Kolonialherren. Ich verstehe, dass das britische Empire sich in Indien wohl gefuehlt hat: die Mehrheit der Bevoelkerung bilden die „friedliebenden“ Hindus (heute 81%). Das Kastenwesen  gewährleistet, dass es zu  keiner Mischung der Schichten kommt. Die Oberschichten aus England wie auch aus Indien vermengen sich nicht mit der Middle-Class oder Working-Class. Dies erläutert auch die Aussage eines indischen Geschäftspartners: „Die Frau, die Du heute heiraten musst, suchen immer noch deine Eltern aus. Ausschlaggebend hierbei  ist (zu 70%!), aus welcher Familie sie kommt. Du heiratest nicht nur eine Frau, sondern ihre Familie.“

Der Monat April 2007 war für mich eine Grenzerfahrung: 3 Kontinente in einem Monat, zwischendurch in  Moskau (wo ich arbeite) und Frankfurt (wo meine Familie lebt). Anfang April New York (Amerika), anschliessend New Delhi (Asien) und am Ende schließlich Madrid (Europa).

Ich erlebe den stärksten Kontrast immer wieder, wenn ich vom Flughafen in die Stadt fahre oder wenn ich mich jeweils aus dem Hotel, aus dem weltweit standardisierten Luxus  - Hilton Time Square (New York), The Grand New Delhi, Grand Melia Fenix (Madrid)- auf die Strasse begebe und mich  im Gewühl dieser Millionenstädte verliere. Die Hastigkeit der Business-Leute, das Handy am Ohr klebend (wohl eine Zivilisationskrankheit, die alle Länder gleichermaßen betrifft, aber das Bild in  NY ist wohl am schlimmsten), dann die Taxifahrer (in New York ein Inder!), die Fahrt in die Stadt (langweilge Vorortstimmung in NY bis Manhattan), Militär vor Sandsäcke vor dem Flughafen, Kühe und Tuck-Tuck-Taxis auf den dunklen Strassen sowie springende Affen in den Bäumen in Delhi, europäische junge und alte Geschichte vereint in Madrid, der Empfang im Hotel (oberflaechliche Freundlichkeit in NY, unterwuerfige Haltung in Delhi, mediterane Freundlichkeit in Madrid). Raus aus dem Hotel: Das 21. Jahrhundert des bruellenden Konsums und auf Konsum, Entertainment und Kunst Ausschau haltende Touristen, die mittelmäßigen Geschäftsleute, die geschwätzig und wichtigtuerisch die Welt erobern wollen und ihre Werte der gesamte Welt  aufzwinge wollen (NY). Die Armut in Indien wird nur unterbrochen von den 5 Sternen der Hotelpaläste mit ihrem Gold und Marmor, draußen Smog (nie ein blauer Himmel, die Sonne kommt nie durch!), Hitze (42 Grad), immer eine Masse von Menschen, tausende von bettelnden Kindern an jeder Strassenkreuzung, Tausende, die auf den Strassen in notdürftigen Baracken (Zelten)  hausen ohne jegliche Würde. Daneben tost ein höllischer Verkehr ohne erkennbare Regeln, ein Durcheinander von hupenden Autos, Menschen, Tuck-Tucks, Rikschas, Motor-  und Fahrraedern, Kuehen, Eseln, Elefanten und Kamelen. Mittendrin auch ich - unterwegs von großzügigen historisch/mythologischen Plätzen zu Kunst/Kultur/Kueche.

Habe ich den Faden verloren? Wo ist der Stein geblieben? Keine Sorge, der ist abgelegt!!





Nach all den Fragen und inneren Monologen, habe ich mich entschieden, den Stein an einem sehr touristischen Ort in Indien abzulegen. Das als 8. Weltwunder geltende Taj Mahal verbildlicht den Kontrast des Landes am besten, das von einem muslimischen Herrscher (heute ist der Präsident ein Muslim, der Ministerpräsident ein Sikh, das Land wird regiert von britisch gestylten Buerokraten der Hindus) nach 22 Jahren Arbeit mit ueber 20.000 Arbeitern und ueber 200 Kuenstlern im Jahre 1653 beendet  wurde. Es gibt wohl 16 Gaerten und 53 Fontaene, um diese Jahreszahl bildlich werden zu lassen. Nachgezählt habe ich allerdings nicht.

Gebaut wurde das Taj Mahal als Grabstätte fuer die meistgeliebte 3. Frau (weil sie unter anderem fuer Nachwuchs sorgte).

Dieses Gebäude ist eine Wucht der islamischen Kunst. Voller Zahlenmystik, Symbolik und  Symmetrie. Wenn man bedenkt, dass es nur dazu dient als Grabstaette seiner Lieblingsfrau und des Herrschers selbst zu dienen, welch eine Verschwendung!

Viele daran beteiligte Arbeiter und Künstler mussten ihr Leben opfern, den persischen Künstlern wurden danach  die Finger abgehakt, damit sie nichts nachbauen konnten. Dieser Ort bildet exakt auch das heutige Indien ab.

Im Inneren des Hotels Imperial in Delhi erscheint alles perfekt. Alles strahlt und funkelt vor Sauberkeit, edel schimmernd die verwendeten Materialien, Marmor und Gold. Luxus pur.

Verläßt man das Hotel erfolgt ein jäher Schnitt. Auf der Straße das genaue Gegenteil.
Ebenso vor dem Eingangstor des Areal des Taj Mahal. Man glaubt einen anderen Planeten zu betreten. Einen Planeten des Perfektionismus, des Reichtums, der Ruhe, der Sauberkeit, völlig abgeschnitten vom realen Leben außerhalb der Gemäuer.
Und hier liegt der Stein in einem Busch, direkt auf die Grabstätte blickend. Vielleicht für immer?





Zafer Toker, Frankfurt/Main
2007