Deutschland


Rügen



Einäugiges Prora

Der Weg der Steine
Foto: Ute Döring

"Achtung Lebensgefahr! Herabstürzende Bauteile!! Betreten verboten!!!"

Je nach dem, von welcher Seite man sich Prora nähert, muß man schon seinen ganzen Mut zusammenkratzen. Und dann wieder hat es auch eine Schauseite, wo die Touristen busladungsweise angekarrt und ins Freie geschippt werden. Schon eine Sehenswürdigkeit: Prora, Moloch in Backstein und Beton, größtes Kraft-durch-Freude-Projekt der Nazi-Ära an Rügens landschaftlich eigentlich schützenswerter Nordostküste, Regenerationsfabrik für 20.000 Arier (oder waren es ganze Arier-Familien?), später die Mutter aller Kasernen erst für die Rote, dann die Nationale Volksarmee, mehrere Kilometer lang bildet es heute, in drittelwegs verfallenem, drittelwegs demoliertem, drittelwegs umgewidmetem (Museen, Galerien, Ateliers, Kneipen, vielfältige Initiativen) Zustand noch eine mit dem Lineal nachziehbare, martialische Front zum Meer hin.

Der Weg der Steine
Foto: Ute Döring

Mit Volker Steinbachers Augen-Stein in der Hand, laufe ich, ohne lange zu überlegen, auf die Mauer aus Bruchstein und Zement-Konglomerat, voll Mineralischem aus der Region (Feuersteinstücke), zu, genauer gesagt einen Abschnitt, der sich von den Wettern der Geschichte zernagt darbietet, seiner Deckplatte beraubt; ihn bin ich hochgeklettert und bette jetzt mein Mitbringsel in eine Lücke, ein bißchen verkantet, damit er stabil ruht und nicht beim nächsten Sturm gleich ins Wasser gefegt wird - und dort hockt er, wenn er nicht gestorben ist, noch heute und richtet sein Zyklopenorgan leidenschaftslos-kühl hinaus auf die Bucht, die, wenn mich nicht totale touristische Fehlorientierung narrt, links von Sassnitz, rechts von der Landzunge Nordperd begrenzt wird.



Roland Held, Darmstadt
2003